Wenn du mich magst – schön. Wenn nicht – auch schön.

Oder anders: Ein Hoch auf Haltung statt Harmonie – online wie offline.

Es gab eine Zeit, da wollte man gemocht werden.
Heute soll man dafür sterben.
Man soll gemocht, geliked, verstanden, gefeiert, kommentiert, geteilt und am besten in die emotionale Hausapotheke jedes Einzelnen eingepasst werden – wie ein personalisiertes Beruhigungsmittel mit politisch korrektem Etikett.

Jede Meinung muss rückversichert, jede Haltung weichgespült und jede Formulierung vorab genehmigt sein.
Nicht, dass man jemanden verletzt. Oder triggert. Oder ihm das Gefühl gibt, nicht gemeint zu sein. Oder, schlimmer noch: gemeint zu sein.

Aber hier kommt die frohe Botschaft:
Ich habe keine Lust mehr auf dieses Everybodys-Darling-Theater.

Nett ist das neue Nein

Wir leben in einer Ära des emotionalen Opportunismus.
Man möchte dazugehören – aber bitte ohne Widerspruch.
Man möchte stark wirken – aber nur, wenn alle applaudieren.
Man möchte „echt“ sein – aber ohne Ecken, ohne Brüche, ohne Kante.

Und während alle behaupten, sie wollten Authentizität, suchen sie doch nur eines:
Harmonie.
Aber nicht im spirituellen Sinn. Sondern als Dauerzustand, in dem keine Meinung zu laut, keine Stimme zu scharf und kein Standpunkt zu unbequem ist.

Herzlichen Glückwunsch.
Was wir da züchten, ist kein Miteinander.
Sondern ein emotionaler Einheitsbrei in Instagram-Farbpalette.

Haltung ≠ Härte. Meinung ≠ Angriff.

Es ist eine groteske Umkehrung der Werte:
Wer heute deutlich ist, gilt als arrogant.
Wer Nein sagt, als schwierig.
Wer Haltung hat, als überheblich.
Und wer nicht jedem folgt, ist „elitär“.

Man hat vergessen, dass Individualität kein Angriff ist.
Dass man sich abgrenzen darf, ohne sich zu erklären.
Und dass Klarheit nicht Kälte bedeutet.

Aber wehe du sagst:
„Ich sehe das anders.“
Dann bist du plötzlich das Problem.
Ein Störfaktor im kollektiven Kuschelalgorithmus.

Die digitale Erpressbarkeit

Online läuft es so:
Man postet etwas.
Jemand fühlt sich nicht abgeholt, nicht einbezogen, nicht geliebt – und kommentiert:
„Also *ich* finde das schwierig.“

Subtext:
Entweder du passt dich mir an.
Oder ich entfolge.
Oder – schlimmer – ich führe eine passiv-aggressive Diskussion mit 12 Emojis, in der ich deine gesamte Integrität infrage stelle.

So haben wir es geschafft, dass viele lieber nichts mehr sagen.
Oder nur das, was bereits gesagt wurde.
Oder das, was garantiert niemanden stört – außer vielleicht sich selbst.

Die Angst vor Ablehnung hat Haltung ersetzt.
Das Bedürfnis nach Zustimmung hat Prinzipien verdrängt.
Und am Ende bleibt ein großer Haufen Content – ohne Substanz, ohne Rückgrat, ohne Seele.

Die Meinungsdemokratie ist keine Diktatur der Verträglichkeit

Das Problem ist nicht, dass Menschen unterschiedliche Ansichten haben.
Das Problem ist, dass sie glauben, jede andere Meinung sei ein Angriff auf ihre Existenz.

Nein.
Ich poste nicht gegen dich, weil ich nicht deiner Meinung bin.
Ich lebe nicht gegen dich, weil ich nicht deinem Lifestyle folge.
Und ich antworte nicht auf deine Nachricht, weil ich nicht verpflichtet bin, emotionaler Gratisdienstleister auf Abruf zu sein.

Was fehlt, ist Souveränität.
Was fehlt, ist die Fähigkeit, mit Abgrenzung umzugehen, ohne sich entwertet zu fühlen.

Denn ich sage es dir ganz offen:
Wenn du mich magst – schön.
Wenn nicht – auch schön.
Aber ich werde mich keinen Zentimeter verbiegen, um von dir gemocht zu werden.

Schönheit liegt nicht in der Anpassung

Die meisten Missverständnisse im zwischenmenschlichen Bereich basieren nicht auf Inhalten.
Sondern auf der Erwartung, dass jemand sich für uns verbiegt.
Dass er uns priorisiert.
Dass er uns einbezieht.
Und wenn das nicht passiert, dann ist der andere „toxisch“, „kalt“, „narzisstisch“ oder „nicht empathisch genug“.

Vielleicht ist er einfach: klar.
Vielleicht hat er einfach: eine andere Welt.
Vielleicht bist du: nicht der Mittelpunkt.

Wir müssen aufhören, Zustimmung mit Wertschätzung zu verwechseln.
Und anfangen, Menschen zu respektieren, gerade weil sie sich nicht anpassen.
Gerade weil sie einen eigenen Kurs fahren.

Das Märchen von der Beliebtheit

Popularität ist das neue Kapital.
Followerzahlen, Likes, Shares – alles messbar, alles sichtbar.
Und mit jedem neuen Algorithmus wächst der Druck, gefällig zu sein.

Aber weißt du, was noch nie relevant war?
Die Meinung von Menschen, die dich nicht wirklich kennen.

Denn das ist das wahre Drama:
Wir gestalten unsere Identität nach den Erwartungen von Menschen,
die nicht einmal wissen, wie unser zweiter Vorname lautet.

Warum?
Weil wir dazugehören wollen.
Weil wir glauben, dass viele Likes = viel Wert bedeuten.

Aber Beliebtheit ist eine Illusion.
Sie ist flatterhaft, wechselhaft, launisch wie ein algorithmisch verzogener Teenager mit WLAN-Problemen.

Haltung bleibt. Likes nicht.

Warum Klarheit immer gewinnt

Man muss sich nicht erklären.
Nicht ständig. Nicht vor allen. Nicht überall.

Wer du bist, zeigt sich nicht in deinen Likes, sondern in deinen Grenzen.
Nicht in deiner Reichweite, sondern in deinem Rückgrat.
Und nicht in deiner Freundlichkeit – sondern in deinem Mut, nicht everybody’s darling zu sein.

Denn wer sich von dir distanziert, weil du echt bist – war nie wirklich nah.

Schlusswort: Unfollow me, Baby

Ich bin hier, um zu leben.
Nicht, um Applaus zu kassieren.
Nicht, um jedem zu gefallen.
Und ganz sicher nicht, um in der endlosen Komfortzone anderer Menschen ein Zimmer zu mieten.

Ich bin nicht dein Feelgood-Content.
Ich bin nicht dein Echo.
Ich bin nicht deine Zustimmung.

Ich bin eine Meinung mit Haltung.
Ein Leben mit Auswahl.
Und ein Mensch mit Rückgrat.

Wenn du das magst – schön.
Wenn nicht – auch schön.
Aber ich geh’ trotzdem weiter.

In diesem Sinne, 

Marlis für Karins Schwester 


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