Sag lieber nix – du bist Unternehmer
Es gibt einen unausgesprochenen Ehrenkodex in der Welt der Unternehmerinnen und Unternehmer: Arbeite hart. Sei zuverlässig. Mach niemandem Ärger. Und vor allem – halte den Mund.
Denn sobald du dich öffentlich zu Politik, Gesellschaft, über interessante Kundschaft, oder dem Irrsinn der Zeit äußerst, ist der Applaus vorbei. Dann bist du nicht mehr nur die Marke. Dann bist du die Projektionsfläche.
Ein Künstler darf sich empören.
Ein Aktivist darf übertreiben.
Ein Kabarettist darf beleidigen.
Aber wenn du Unternehmer bist, beispielsweise im Einzelhandel und eine Haltung hast, bist du schnell: arrogant, rechts, übergriffig oder unsolidarisch. Und natürlich kundenfeindlich.
Willkommen im paradoxen Spiel unserer Zeit
Du sollst Verantwortung tragen – aber keine Meinung.
Du sollst Haltung zeigen – aber nur die Richtige.
Und du sollst sichtbar sein – aber bitte nicht unbequem.
Die Wahrheit ist: Unternehmer dürfen sich äußern. Es steht nirgendwo geschrieben, dass sie es nicht dürfen. Aber sie tun es selten. Und wenn sie es tun, hagelt es nicht Respekt – sondern Empörung.
Denn wir leben in einem System, in dem die Öffentlichkeit nicht danach urteilt, wie differenziert du denkst, sondern danach, wie gut sich dein Statement skandalisieren lässt. Die Filterblase urteilt schneller als dein Verstand tippen kann.
Du glaubst, du äußerst dich pointiert und durchdacht zur Arbeitsmoral junger Menschen?
Sie hören: Generationenbashing.
Du stellst Fragen zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen?
Sie hören: Du bist gegen Veränderung.
Du sprichst kritisch über Förderpolitik, Bürokratie oder Steuerlast?
Sie hören: Du bist neoliberal, ausbeuterisch oder kapitalhörig.
Du stellst ironisch oder kritisch das Kundenverhalten in Frage? Die Empörung ist dir gewiss und wird in allen Kanälen kund getan.
Die Öffentlichkeit ist zur moralischen Jury geworden. Und sie urteilt schnell, binär und erbarmungslos.
Für viele Unternehmer ist genau das der Grund, lieber gar nichts mehr zu sagen.
Die Risiken sind zu hoch, der Gewinn zu niedrig.
Meinung ist erlaubt – aber bitte nicht mit Umsatz
Denn was passiert, wenn du als Unternehmer einen politischen oder gesellschaftskritischen Beitrag postest?
- Die Bewertungen deines Unternehmens sinken – obwohl der Service gleich bleibt.
- Kooperationspartner ziehen sich zurück – aus Angst vor “Imageschaden”.
- Du bekommst plötzlich Nachrichten mit dem Inhalt: „Das hätte ich nicht von dir gedacht.“
Kurzum: Du wirst nicht als denkender Mensch wahrgenommen, sondern als System mit Umsatz. Sobald du Umsatz machst, verliert deine Meinung an moralischem Gewicht. Denn du verdienst ja etwas dabei – also kann es ja nicht ehrlich sein. So die absurde Logik.
Die stille Tragödie: Unternehmer mit Haltung – aber ohne Mikrofon
Diese Haltung ist nicht nur falsch – sie ist gefährlich. Denn genau die Menschen, die täglich Verantwortung tragen, Arbeitsplätze sichern und Wirtschaft gestalten, werden durch die öffentliche Erwartungskultur zu stillen Zahnrädern degradiert.
Dabei wären Unternehmer oft die klügsten Stimmen in gesellschaftlichen Debatten.
Weil sie nicht nur reden, sondern handeln.
Weil sie nicht nur fordern, sondern tragen.
Aber genau diese Stimmen verstummen.
Aus Angst. Aus Erfahrung. Aus Müdigkeit.
Denn nichts ist ermüdender als der permanente Erklärungszwang.
Warum du gesagt hast, was du gesagt hast. Warum du das meintest, aber jenes nicht.
Warum du nicht sofort alle Eventualitäten eingeplant hast, bevor du dich überhaupt geäußert hast.
Das Publikum will keine Haltung
Es will Unterwerfung unter den aktuellen Moralkonsens. Da stellt man sich lieber einen Schritt weiter von uns entfernt.
Wer abweicht, verliert Kunden.
Haltung als PR-Maßnahme – weich, gefällig, folgenlos
Der ironische Twist: Die gleichen Leute, die “mehr Haltung von Unternehmen” fordern, sind die ersten, die abspringen, wenn diese Haltung nicht ins eigene Weltbild passt. Und so wird Haltung zur PR-Maßnahme – weichgespült, angepasst, folgenlos.
Die Folge: Ein Meer aus nett formulierten Statements, Diversity-Beiträgen und Wohlfühlslogans.
Aber keine echte Meinung. Keine Kante. Kein Widerspruch.
Denn echte Meinung kostet.
Sie kostet Sympathie, Kunden, Geld, Likes – und manchmal auch die Reputation.
Wer schweigt, bleibt geschäftlich sicher – aber gesellschaftlich irrelevant.
Und viele Unternehmer können oder wollen sich das schlicht nicht leisten.
Nicht weil sie keine Haltung haben.
Sondern weil sie keine Lust mehr auf digitale Steinigungen haben.
Weil sie wissen: Du kannst alles richtig sagen – und es wird trotzdem falsch verstanden.
Und am Ende bleibt die Frage: Wie lange kann sich eine Gesellschaft eigentlich noch leisten, ihre denkenden Stimmen zum Schweigen zu bringen?
Wie lange tolerieren wir, dass Menschen, die etwas bewegen, nicht mehr sagen dürfen, was sie denken?
Wie lange spielen wir das Spiel der Empörungslogik mit, in dem Meinung nur zählt, wenn sie vorher gegendert, diversifiziert und moralisch abgestempelt wurde?
Vielleicht ist es Zeit, dass mehr Unternehmer ihre Stimme zurückholen.
Mit Mut.
Mit Klarheit.
Mit der Bereitschaft, auch mal unangenehm zu sein.
Denn wenn nur noch die schreien, die nichts verlieren können – dann wird es laut. Aber nicht klug.
So ist meine Meinung zu dem Ganzen. Auch wenn sie nicht jedem gefällt. Da zucke ich mit den Achseln, drehe mich um und gehe.
Gruß und tschüss.
Marlis
Hinterlassen Sie einen Kommentar