„Meine Mutter auf Instagram – ein lustiges Drama in drei Akten“
Für meine Mutter. Eine Hommage an die beste Mama der Welt.
Oder anders: Ein digitaler Albtraum in Likes, Lachsmileys und Live-Videos vom Wäscheaufhängen.
Akt I – Die Anmeldung
Es begann harmlos. Wie immer. Ein Satz am Küchentisch, der in seinem harmlosen Klang schon das erste Donnergrollen trug:
„Sag mal… wie funktioniert dieses Insta eigentlich?“
Ich zuckte innerlich zusammen. Als ob jemand gefragt hätte: „Was passiert eigentlich, wenn ich diesen roten Atomknopf hier drücke?“ – und dabei schon den Finger ausgestreckt hätte.
Ich versuchte, diplomatisch zu bleiben.
„Wieso willst du das wissen?“
„Na, weil die Gisela dauernd Sachen postet. Und ich will auch mal gucken.“
Und da war es passiert. Der Anfang vom digitalen Untergang. Noch am selben Abend saß meine Mutter mit Lesebrille und zwei Gedecken Butterkeksen bewaffnet vor meinem Laptop und ließ sich von mir erklären, wie man einen Account anlegt. Benutzername: „liebeoma47“. Profilbild: ein unscharfes Selfie von 2014 mit Hund.
„Mach noch was mit Herzen!“ 😆❤️
Ich so: „Was genau meinst du?“
Sie: „Na so Emojis halt. Die machen das jetzt alle.“
Der Account war live. Die Katastrophe auch.
Akt II – Das Erwachen der Macht
Innerhalb von 24 Stunden hatte meine Mutter 37 Accounts abonniert – alle unter der Kategorie Dekotipps, Smoothiebowls und Veronika Ferres. Außerdem: mich. Und meine komplette Freundesliste. Und meinen Ex.
Erster Kommentar unter meinem Bild:
„Hübsch, aber der Lippenstift steht dir nicht. Ich bring dir meinen von YSL mit – der war besser.“
Daraufhin: 11 Likes von ihren Freundinnen. Eine von ihnen schrieb:
„Haha, sooo ehrlich, deine Mama. 😂❤️“
Ich blockierte mich innerlich.
Am nächsten Morgen: erster Versuch, eine Story zu posten.
Inhalt: eine Handyaufnahme vom Fernseher mit der Bildunterschrift „ZDF Magazin Royale – naja“.
Musik: Andreas Gabalier.
Ich versuchte zu erklären, dass eine Story maximal 24 Stunden sichtbar ist. Sie hörte nur „sichtbar“ – und interpretierte das als Einladung, stündlich eine neue zu posten.
Mal war’s der Blick aus dem Fenster, mal ein Blumengruß, einmal eine Nahaufnahme vom Abendessen (Fleischpflanzerl, mit dem Hashtag „#veganlife“).
Auf Nachfrage sagte sie:
„Ich dachte, das macht man so. Ich hab das bei dieser Pamela gesehen.“
Sie meinte: Pamela Reif.
Meine Mutter versuchte also, sich an Fitness-Influencerinnen zu orientieren, während sie ein Bierchen vom Augustiner Bräu auf dem Sofa trank und Puzzles legte.
Dann kam der Super-GAU: Live gehen.
Sie hatte aus Versehen ein Instagram-Live gestartet, während sie versuchte, ein Bild von ihrem Balkonkasten zu posten.
Ich war gerade im Call mit einem Lieferanten, als mein Handy vibrierte:
„liebeoma47 ist jetzt live.“
Ich klickte drauf – ein Reflex, den ich bis heute bereue.
Bild: Meine Mutter in Hauskleidung, die mit dem Handy in der Hand laut durch die Wohnung rief:
„Hallo? Bin ich da jetzt drin? HÖRT MICH JEMAND? WIESO IST DAS BILD SO NAH?!“
Innerhalb von 30 Sekunden waren 16 Leute im Stream, darunter ihre Nachbarin, mein Arbeitskollege – und mein Ex-Mann.
Ich rief sie an. Sie nahm nicht ab. Ich schrieb eine Nachricht:
„DU BIST LIVE!“
Sie antwortete 20 Minuten später:
„Jetzt nicht, ich mach grad ein bisschen Haushalt.“
Es war der Moment, an dem ich innerlich resignierte und ihr die Weltherrschaft über Reels, Filter und Story-Sticker überließ. Denn wer einmal ein Instagram-Live beim Bügeln überlebt hat, fürchtet nichts mehr.
Akt III – Der Influencer-Clan
Seitdem läuft meine Mutter auf einem neuen Level. Sie kommentiert ALLES. Öffentlich. Ungefiltert.
Unter einem meiner Posts, auf dem ich ein Kleid trage:
„Du hattest aber schon mal schlankere Oberarme.“
Unter dem Urlaubsbild einer Freundin:
„Da hattest du letztes Jahr aber dieselbe Bluse an.“
Und unter einem Business-Post von mir mit Zitat:
„Marlis, das klingt irgendwie eingebildet. Und schreib doch einfach ‘schön’ statt ‘ästhetisch’.“
Sie liked wahllos. Auch Beiträge, die eindeutig Werbung für Fußpilzspray sind.
„Aber das Bild war hübsch!“
Und sie hat angefangen, Hashtags zu benutzen – allerdings nach eigenem System:
„#hallo“, „#oma“, „#mittwoch“, „#ichliebemeinekinderaberauchmeinepflanzen“ „##“ „##alteliebe#“
Sie nennt das digitale Lebensfreude. Ich nenne es soziales Harakiri. Hashtag-Harakiri.
Doch dann kam der Moment, der alles veränderte:
Ein Kommentar von einer fremden Frau unter einem Foto meiner Mutter:
„Wie süß Sie sind! Ihre Lebensfreude ist ansteckend!“
Und plötzlich verstand ich.
Meine Mutter macht kein Instagram wie wir. Sie macht Instagram, wie sie ist:
Laut, ehrlich, unperfekt, irre – und völlig ohne Schamgefühl.
Sie redet in die Kamera, als gäbe es keine Filter. Sie postet Wäschekörbe, weil sie findet, dass Realität auch mal gezeigt werden muss. Und sie nennt ihren Account jetzt stolz „Oma Realness“.
Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal schreibe – aber:
Ich bin ein kleines bisschen stolz.
Und ein kleines bisschen panisch.
Denn gestern hat sie mich gefragt, wie man einen eigenen Reel-Ton aufnimmt.
Und ich fürchte, wir sind nur noch einen Filtereffekt von einem viralen Wäschevideo entfernt.
In Liebe
Deine Marlis
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