Ich war nett. Und dann hab ich’s gelassen
Ich war nett.
Ich hab’s versucht. Ehrlich.
Ich habe gelächelt, wenn ich am liebsten die Augen verdreht hätte.
Ich habe zugehört, wenn mir innerlich alles schrie: „Halt die Klappe, du armselige Neiderin im Kaschmirimitat.“
Ich habe damals vor vielen Jahren am Anfang in meinem Laden höflich genickt, während mir eine Dorftratsche mit Selbstbräuner im Dekolleté erklärte, wie man „hier“ erfolgreich wird.
Wie man sich „hier“ zu benehmen hat, dass vielleicht doch „jemand hier in dem Laden kauft“.
Dass man „hier“ vor Ort Geschenke im Laden verpackt bekommt.
Dass man „hier“ gerne den Grund wüsste, auf dem Zettel an der Tür, warum heute geschlossen ist. Das macht man „hier“ so.
Ich habe mitgespielt.
Ich war zuvorkommend zu Kundinnen, die nie etwas kaufen – aber stundenlang meine Ware anfassen, als wären sie auf Tuchfühlung mit Stil, den sie nie verstehen werden.
Ich war verständnisvoll gegenüber Frauen, die sich aufregen, dass ein handgemachtes Stück mehr kostet als ihr gesamter Shein oder Temu-Warenkorb.
Ich war zurückhaltend gegenüber Männern, die mir ungefragt erklären wollen, wie „hier“ Business „richtig“ geht – während sie selbst maximal ein Sparbuch führen.
Dass diese Männer und Frauen meinem akademischen Hintergrund nicht kennen, lassen wir kurz außen vor.
Ich war nett – aus Höflichkeit, aus Gewohnheit, aus dieser tiefsitzenden Angst, als „zickig“ abgestempelt zu werden.
Und weißt du was?
Ich hab’s gelassen.
Komplett. Für immer.
Weil „nett“ nichts bringt – außer Rückenschmerzen vom ständigen Bücken.
Weil „nett“ bedeutet, dass du dich selbst so lange runter regelst, bis dich niemand mehr hört.
Weil „nett“ die Eintrittskarte in einen Club ist, in dem Frauen sich gegenseitig klein halten, um nicht aus der Norm zu fallen.
Ich bin raus aus dem Club.
Ich erkläre mich nicht mehr.
Ich rechtfertige mich nicht mehr.
Ich ertrage keine Sätze mehr wie: „So wie du redest, kann man dich ja gar nicht mögen.“
Perfekt. Dann hab ich ja alles richtig gemacht.
Seit ich nicht mehr nett bin, bin ich frei.
Frei von der Pflicht, jeden verdammten Bullshit mit einem Lächeln zu quittieren.
Frei von der Erwartung, mich ständig kleiner zu machen, damit sich andere nicht bedroht fühlen.
Frei von dieser lächerlichen Vorstellung, dass Frauen gefälligst leise, lieb, farblos und ruhig zu sein haben. „Hier“ ist man leise. Aha.
Und die Reaktionen? Göttlich.
Sie starren, wenn ich in lauten Absätzen durch die Stadt laufe – als hätten sie noch nie eine Frau gesehen, die einfach nicht nach Kompromiss riecht.
Sie tuscheln, wenn ich sage, was ich denke – weil sie es selbst seit Jahren nicht mehr tun.
Sie flüstern, ich sei „arrogant“.
Ich flüstere zurück: Besser arrogant als beliebig.
Ich bin nicht hier, um zu gefallen.
Ich bin nicht hier, um euch zu bestätigen.
Ich bin hier, weil ich was zu sagen habe – und weil ich keinen Bock mehr habe, die Stimme zu dämpfen, nur damit sich niemand erschrickt.
Also, wenn du dich gerade wieder erkennst in dieser netten, kleinen, angepassten Version von dir selbst – lösch sie einfach. Heute. Sofort.
Die Welt braucht keine netten Frauen mehr.
Sie braucht klare.
Freche.
Gnadenlos ehrliche.
Und die, die bereit sind, sich unbeliebt zu machen – für das Richtige.
Für ihre eigene Persönlichkeit.
Ich bin Marlis.
Ich bin Karins Schwester.
Ich war nett.
Ja, nett ist die kleine Schwester von „kann nichts“. Nett und stets bemüht sind diejenigen, die es zu nichts bringen. Also lieber ein eckiges Etwas, als ein rundes (und nettes) Nichts sein. Und was „man“ macht, ist auch völlig egal, denn wer setzt den diese „das macht man Benchmark“? Erfolgreiche und charismatische Menschen machen, wovon sie überzeugt sind und haben Spaß dabei
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